Vorderasien

Eine Unbequeme Wahrheit 🇮🇳

Der Taj Mahal ist ein Bauwerk der Liebe und Hingabe. In jungen Jahren verlor ein Großmogul die Liebe seines Lebens und ließ, als Zeichen seiner ewigen Zuneigung, den Taj Mahal für sie errichten. Die Dame, der wir das schönste Gebäude unserer Zeit verdanken, trägt den bezaubernden Namen Arjumand Banu Begum. Obwohl sie nicht einmal 40 Jahre alt wurde, schenkte sie ihren Liebsten vierzehn Kinder (!!!), von denen sich einige gegenseitig töteten. Aber dieses tragische Kapitel überspringen wir bewusst, damit es keinen negativen Einfluss auf den romantischen Grundgedanken dieses Nebengeräusches nimmt.

Apropos Romantik: Nun bieten sich zwei unterschiedliche Optionen an. 1) Wir können über dieses traumhafte Mausoleum reden, welches aus reinster Hingabe erschaffen wurde. Wir philosophieren über die sagenhafte Romantik, den strahlend blauen Himmel und die Hochglanzbilder, die uns die Reiseführer und Influencer dieser Welt tagtäglich zur Verfügung stellen. Wir sprechen über den heiligen Fluss Yamuna, der am Gebäude vorbei fließt und über die saubere Luft und die unbeschreibliche Atmosphäre, die wir uns beim Besuch erwarten.

2) Oder wir konfrontieren uns mit der trübseligen Realität und sprechen über Fakten. Wer sich die idyllische Vorstellung eines indischen Märchens nicht versauen möchte, sollte auf das nächste Nebengeräusch warten. All die anderen begrüße ich zu einem wahren Blick hinter die Kulissen des modernen Weltwunders.

Fakt: Die mächtigen Tore der Anlage öffnen sich tagtäglich um 06:00 Uhr. Bereits um 05:15 Uhr bin ich startklar, um den Sonnenaufgang zu genießen und den Menschenmassen zu entfliehen. Dies ist auch angebracht und dringend notwendig, denn bereits in den frühen Morgenstunden stauen sich zahlreiche Reisebusse zusammen. Die Eingangstore werden pünktlich entriegelt und ich verfalle sofort in dieses „Black Friday“ Feeling. (Ihr wisst, was ich meine, oder? Der Moment, wenn ein drittklassiger Elektrowarenmarkt ein neues iPhone bekommt und die hirnlose Masse den Laden stürmt 🙈).

Der Willkommensempfang ist mutmaßlich nur mit dem historischen Sturm auf die Bastille zu vergleichen. Der Sicherheitscheckpoint wird kompromisslos umgerannt und die Horde galoppiert mit Selfiesticks bewaffnet im Laufschritt Richtung Mausoleum. Die wild romantische Wunschvorstellung eines Sonnenaufgangs ist seit Jahren nicht mehr umsetzbar. Mein Guide beichtet mir, dass man schon verdammt viel Glück benötigt, um einen Hauch von Sonnenschein zu Gesicht zu bekommen. Nur einer, der seltenen windigen und regnerischen Vortage, ermöglicht die Chance, dass sich der dichte Schleier aus Smog und Nebel verzieht.

Nachdem ich das Bauwerk, durch die unerträgliche Luftverschmutzung doch noch ausfindig gemacht habe, geht es nur mehr um die wichtigen Dinge im Leben. Das beste und aufregendste Selfie Taj Mahal Foto zu ergattern. Das Mausoleum ist selbstverständlich unfassbar schön, aber die Atmosphäre erinnerte mich eher an einen Samstagnachmittag Einkauf beim Hofer. (Und dies, wenn der darauffolgende Montag noch dazu ein Feiertag ist). In den folgenden Stunden erkundete ich die zahlreichen Gräber und Tempel und warf einen kurzen Blick ins Mausoleum. An jeder Ecke und Kante sieht man die Spuren der Erosionen, der Verwitterung und der Umweltverschmutzung. Die weißen Marmorplatten müssten täglich poliert werden, um die hässlichen Narben zu verschleiern.

Der negative Höhepunkt ist der aktuelle Zustand des Yamuna. Ein heiliger Nebenfluss des Ganges, welcher nach der Flussgöttin Yami benannt ist und eine äußerst wichtige Bedeutung für den Hinduismus hat. Er zählt zu den dreckigsten Gewässern weltweit und ein kleiner Blick genügt bereits, um diese These zu bestätigen.

Zum Schutz eurer Sicherheit verzichte ich auf die Fotos der toten Kühe und der endlosen Müllhalden. Es bleibt mir ein Rätsel, wie ein souveräner Staat einen heiligen Fluss mitsamt ihrer heiligen Tiere so misshandeln kann.

Der gegenwärtige Smog und Nebel Schleier über dem Mausoleum

Ein kleiner Seitenhieb sei mir bitte gestattet: Hier bietet sich die passende Gelegenheit euch den Unterschied zwischen Realität und Instagram zu präsentieren. Beim Taj Mahal habe ich einen britischen Reisenden kennengelernt. Wir waren einige Stunden gemeinsam unterwegs und anschließend stelle er mir ein paar seiner Bilder zur Verfügung. Als diese beiden Fotos entstanden sind, blickten wir Seite an Seite in Richtung des Mausoleums. Filter oder Realität, Manipulation oder die unbequeme Wahrheit, welches Bild gefällt euch besser? Vermutlich bin ich der Einzige, der eine ehrliche Darstellung bevorzugt um die Welt wach zu rütteln.

Kleine Anekdote: Als erstes Land der Welt hat Norwegen 🇳🇴 ein Gesetz verabschiedet, wonach retuschierte Fotos gekennzeichnet werden müssen. Ein schmerzhafter Dorn für die Welt der Influenzer und Werbekampagnien aber ein kleiner Schritt zurück in die Realität.

Know Before You Go: Der Taj Mahal befindet sich unweit der indischen Metropole Agra und ist auf zahlreichen Wegen einfach und unkompliziert zu erreichen. Um das Bauwerk zu schonen, wurde die tägliche Besucherzahl auf 2.500 limitiert. Freitags ist der Zugang immer geschlossen. Die Eintrittsgebühr für indische Staatsbürger beträgt 50 Indische Rupien (0,60 €). Internationale Besucher müssen 1.100 Indische Rupien (13,50 €) hinlegen. Visit Website!