Estland ’21

Nach sechzehn Monaten Abstinenz starte ich sehnsüchtig in mein nächstes Abenteuer. Im Jahre 2019 habe ich Litauen 🇱🇹 genauer kennen und lieben gelernt und mich diesbezüglich entschlossen Estland und Lettland zu erkunden. Wir werden gemeinsam zu einer historischen Brücke reisen, die wir nicht betreten dürfen, erkunden faszinierende, verlassene Gebiete und kuriose Museen. Reden über eine einzigartige Landschaft, skurrile Friedhöfe und über eine unglaubliche Begegnung der Dritten Art. Erkunden Burgen, Schlösser und Ruinen, lernen zwei völlig verrückte Gefängnisse kennen und ich erzähle euch, wie es sich in den ehemaligen sowjetischen Wohnblöcken lebt. Ich verrate euch mein absolutes Lieblingsdorf (dies toppt sogar mein heiß geliebtes Nynäshamn 🇸🇪), zeige euch Videos vom spektakulärsten Strand der Welt und erkläre euch wie sich ein Elchtest in der Realität 😱 anfühlt. Erhöht euren Gemütlichkeitsfaktor, denn dies könnte eine längere Reise werden.

Da die Grenze der beiden baltischen Nationen überschritten wird, werdet ihr in der Mitte dieses Berichtes nach Lettland 🇱🇻 weiterreisen, um schlussendlich wieder in Estland zu landen. Was ich damit ausdrücken will: Keine Sorge, ihr versäumt rein gar nichts.

 

Bevor wir unsere geografische Reise durch den nördlichsten Staat, des Baltikums starten, gebe ich euch noch einige interessante und höchstwahrscheinlich auch weniger interessante Fakten über Estland mit. (Klugscheißer Faktor 100 Prozent 😉).

 

✔ Der Begriff Estland 🇪🇪 bedeutet übersetzt „Einheimischer“ und die Hauptstadt Tallinn heißt „Dänische Stadt“ bzw. „Dänische Burg“.

 

✔ Estland verfügt über die längste Eisstraße Europas. Während den warmen Monaten (warm bedeutet max. 10 bis 15 °C 🥶), werden die 25 Kilometer Distanz zur Insel Hiiumaa mit der Fähre überwunden, allerdings friert im Winter das Meer zu und wir haben die einmalige Chance über das blanke Eis zu fahren. Yeah!😅 Dabei tritt bestimmt ein „Kimi Raikkönen Feeling“ auf. 🏎

 

✔ Das im Süden gelegene, 4.000 Einwohner Dorf Otepää ist das Wintersport-Mekka des Landes. Neben Langlauf, Skispringen und Eislaufen findet einmal jährlich die Sauna Weltmeisterschaft statt. Teams aus der ganzen Welt treffen zusammen und müssen dabei mehr als zwanzig Saunas am Stück absolvieren. Nähere Details zu den Regeln konnte ich leider weder erfahren noch begreifen, aber ich denke, das olympische Motto: „Dabei sein ist alles“, trifft in Otepää zu.

 

✔ Apropos Sport: Im Laufe der letzten 20 Jahre hat Estland den Finnen 🇫🇮 den Rang als führende Nation im „Ehefrauenweittragen“ abgelaufen. Während die Finnen ihre Frauen traditionell im Huckepack Style mit sich führen, hängt die Geliebte des Esten kopfüber an deren Rücken.

 

✔ Apropos Sport, die Dritte: Wenn ihr durch dieses Land fährt, werdet ihr auffällig vielen Riesenschaukeln sehen: „Kiiking“ wurde als moderner Nationalsport ausgerufen und ist eine spezielle Art des Extrem-Schaukelns.

 

✔ Die Esten sind äußerst stolz darauf, die sauberste Luft der Welt zu atmen. Diese These wurde wissenschaftlich mehrmals bestätigt, was unter anderem daran liegt, da das baltische Land zu über 60 Prozent aus Wäldern 🌲 und Moorlandschaften besteht. Und ja, diese frische Luft ist eine einzigartige Offenbarung.

 

✔ Weiteres leben auf der siebtgrößten Insel Kihnu fast nur Frauen, die mit sowjetischen Motorrädern herumdüsen 🤔. Estland war und ist das einzige Land, wo alle Wahlen online stattfinden und es verfügt über den mächtigsten Meteoriten Krater Europas, aber darüber philosophieren wir etwas später.

 

Nach all dem Input habt ihr es jetzt mehr als nur verdient, Passagier eines einmaligen Roadtrips durch das Baltikum zu werden. Für Trittbrettfahrer habe ich euch eine „Cool and Unusual Things to Do“ Karte zusammen gestellt.

Estand 🇪🇪 / Lettland 🇱🇻 Road Trip

Trotz der strengen Einreisebestimmungen war der Flug 🛫 von Wien-Schwechat nach Tallinn keine große Herausforderung und die Vorfreude auf dieses lang ersehnte Abenteuer konnte endlich in die Tat umgesetzt werden. Nach dieser langen Reise Durststrecke waren die einfachsten Dinge bereits ein unfassbares, frei lebendes Gefühl. Am späten Abend habe ich den Mietwagen abgeholt und mich durch die finstere Kälte und Dunkelheit in Richtung der russischen Grenze gekämpft. Die Kombination aus Off-Saison, Abgelegenheit und den aktuellen Auswirkungen der Pandemie war es geschuldet, dass der nordöstliche Teil Estlands gewissermaßen leer gefegt war. Um passende Unterkünfte zu finden, musste ich einige Zeit recherchieren und praktisch jedes einzelne Museum bzw. jeden einzelnen Ort, der von Öffnungszeiten abhängig war, vorab kontaktieren, um zu vermeiden, nicht vor geschlossenen Toren zu landen.

 

Die erste Nacht in einem fremden Land gut überstanden und bereits vor Sonnenaufgang überkam mich eine Motivation und eine Lebensfreude, welche ich radikal vermisst habe. Allein schon der erste Tag schenkte mir Einblicke in die estnische Natur und Geschichte, die meine Wunschvorstellungen in jeder Hinsicht übertrafen. Schnallen wir uns an und erleben diesen besagten Tag gemeinsam. Die ganze Woche erwartete uns regnerisches Wetter und frostige Temperaturen, aber das hinderte uns nicht daran, die Tolsburg anzusteuern. Diese massiven Burgruinen aus dem 15. Jahrhundert liegen direkt am Finnischen Meerbusen. Allein nur der Anblick dieses gigantischen Bauwerkes versetzte mich umgehend wieder in meinen geliebten Explorer Modus und erzeugte diese unbesiegbare Energie und Motivation, nach der ich mich so sehr gesehnt habe. Meine ersten Gedanken: Beeindruckend, Gigantisch, Bombastisch. Hätte so eine Burg die Möglichkeit gehabt bei uns zu überleben? Entweder sie wäre zerstört worden oder, als Privatbesitz nicht mehr zugänglich und hinter eine Mauer von Zäunen und Barrikaden verschwunden. Die Tolsburg war nur der Anfang eines Burgen und Ruinen Marathons, welcher seinesgleichen sucht.

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Bevor wir uns den ersten zwei typischen Mario Gebieten nähern, kreuzen wir diese sagenhafte Moorlandschaft des Nationalparks Lahemaa. Die Sonne hat noch nicht einmal ihren Wendepunkt erreicht und schon ringe ich um die passenden Wörter, um euch dieses Phänomen zu erklären. Der Lahemaa Nationalpark ist der älteste der ehemaligen Sowjetunion und ein vielschichtiges Phänomen aus Küste, Moor und tiefen Wäldern. Obgleich das Landschaftsschutzgebiet die Heimat der größten Elchpopulation Estlands ist, blieb mir ein persönliches Kennenlernen verwehrt, aber aufgehoben ist ja schließlich nicht aufgeschoben, oder?

 

Der perfekten Augenblicke: einsam wandere ich die schmalen Holzpfade der Moorlandschaft ab und verfalle diesem Orchester der zahlreichen Tierwelt. Wer Lust und Laune auf einen naturverbundenen Balanceakt habt, einfach mitkommen. (Video)

Dies wird nicht unser erster Schritt zurück in die jüngste Vergangenheit bleiben. Der Hara Sadam war ein ehemaliger Atom-U-Boot Stützpunkt. Für den Besuch des verwahrlosten Ortes solltet ihr das richtige Schuhwerk und eine gewisse Ehrfurcht und Sorgfalt mitnehmen. Der Spaziergang über den Kai der Anlange und das Durchqueren und Erkunden der einsturzgefährdeten Relikte hat eine Faszination, die wohl nur wenige Menschen nachvollziehen können. Aber, da dies hoffentlich nicht euer 500Days Reisebericht ist, wisst ihr ja bereits, auf was ihr euch bei mir einlässt 😉.

 

Schreiten wir fort zu einem Museum oder besser gesagt zu einem Friedhof, den es garantiert nur einmal auf diesen Planeten gibt. Diese Ausstellung (offizieller Name: Järva-Jaani Vanatehnika varjupaik ja vanatehnika muuseumide keskus 🙈) ist die mit Abstand größte und skurrilste Sammlung von ausrangierten, sowjetischen Fahrzeugen. Ja, ich weiß: Skepsis, was wollen wir dort eigentlich? Nein, nein und noch mal nein! Werft die Zweifel über Bord und widmen wir unsere Zeit und Aufmerksamkeit diesen märchenhaften Ort. Hunderte Vehikel aus den 60er und 70er-Jahren stehen perfekt erhalten parat. Die sonderbare Ausstellung schenkt euch ein Gefühl von Nostalgie und Faszination. Kommt schon, wer wollte noch nie in einem Meer voller Trabis baden? Übrigens, den vollen Namen des Museums würde ich mir aufschreiben und notieren, den nur in dieser Form findet euer Navigationssystem das gewünschte Ziel. Theoretisch gibt es so was wie regulierte Öffnungszeiten, aber so einigermaßen alles, was ich in dieser Gegend besucht habe, verfügt über eine Art „Ticketautomaten“. Das heißt, ihr werft einfach die aufgeforderte Spende in den zuständigen Behälter und erkundet die Gebiete. Spätestens jetzt, habe ich das baltische System verstanden und ignorierte jegliche Form von angeführten Öffnungszeiten.

Um den ersten Tag gebührend abzuschließen, steuern wir noch die Kleinstadt Rakvere an. Über der 15.000 Einwohner Stadt (was für estnische Städte durchaus, als Metropole bezeichnet werden kann) thront die zauberhafte Burg Wesenberg. Ja, was soll ich dazu noch viel sagen? Den Sonnenuntergang auf einer der schönsten Burgen Europas zu genießen … – … ja, dies würde ich als perfekten Start in das neue Abenteuer bezeichnen.

Damit ich nicht in Gefahr laufe, mich ständig zu wiederholen, stelle ich euch hier ein paar besondere Bilder zusammen. Das Thema: Tourismus in den baltischen Ländern! Dieses kleine, silberne Fahrzeug war mein treuer Gefährte und wie ihr unschwer erkennen könnten, waren wir gewissermaßen die komplette Zeit ziemlich allein unterwegs.

Weiter geht es Richtung Osten zu einer Brücke, die es vermutlich nur einmal auf dieser Erde gibt, einen Fluss der zwei vollkommen entgegengesetzte Welten trennt und eine stillgelegte Fabrik, die alles sprengt, was ich jemals gesehen habe. Also meine Lieben: anschnallen und festhalten.

 

Die drittgrößte Stadt Narva 🇪🇪 bildet eine Zwillingsstadt mit Iwangorod 🇷🇺. Diese zwei Städte trennen zwar nur wenige Meter, aber gleichzeitig auch eine der am besten bewachten Brücken Europas. Bis in das Jahr 1991 waren Narva und Iwangorod praktisch eins. Zurück in die jüngste Vergangenheit: In dieser Grenzregion sind über 90 Prozent der Bevölkerung Russen und es bereitete keinen signifikanten Unterschied, ob sich die Einwohner auf der West- oder auf der Ostseite des Flusses Narva aufhielten. Freude, Familie, die Arbeit, die Schulen, die Freizeitaktivitäten … – … alles, was zum routinierten Tagesablauf zählte, teilte sich auf beide Seiten auf. Bis zum Jahre 1991: Die Sowjetunion verschwand von der Landkarte und Estland erhielt seine Unabhängigkeit. Die Brücke, die diese beiden Länder seit Ewigkeiten verbindet, wurde zu einer streng bewachten Grenze. Familien wurden getrennt, Arbeitsplätze mussten unfreiwillig aufgegeben werden, denn die Menschen mussten sich praktisch für eine Seite entscheiden. Zwischen 1991 und 2004 war es dennoch möglich, die Barriere halbwegs unkompliziert zu überwinden, aber mit dem EU-Beitritt Estlands änderte sich alles. Es benötige einige Jahre, um eine halbwegs vernünftige Vereinbarungen zu finden, in denen es zumindest den Anrainen gestattet ist, die Staatsgrenze zu überqueren. Ohne die notwendigen Dokumente (und jeder, der bereits einmal ein Russland Visum angesucht hat, weiß, wovon ich spreche) ist es unmöglich diese Brücke zu überwinden.

 

Wie skurril diese politische Abgrenzung ist, möchte ich euch mit dem folgenden Foto erklären. Auf der östlichen (rechts 😉) Seite seht ihr die gigantische, russische Festung Iwangorod 🇷🇺 und auf der gegenüberliegenden Bildseite thront die estnische Hermannfeste 🇪🇪.  Ein unvergleichliches, geniales Gefühl, in den Sandbänken am Ufer des Flusses zu sitzen, die seltenen Sonnenstrahlen zu genießen, um auf beide Nationen zu blicken. Wohl nur schwer auf dem Bild erkennbar. An beiden Festungen weht die jeweilige Nationalflagge und auf den Mauern tummeln sich Menschen, die mit dem Fernglas auf das gegenüberliegende Land blicken und sich gegenseitig zuwinken.

Unweit des Zentrums des Stadt Narva bildet der Fluss eine kleine Insel auf der die Kreenholmi Manufaktuur beheimatet ist. Die Produktionsstätte ist eine estnische/russische Textilfabrik und gehört zu den größten Betrieben weltweit. Sie wurde gewissermaßen in das „No Mans Land“ zweier Staaten gebaut und beschäftigte zu ihrer Glanzzeit knapp 20.000 Menschen. Warum reden wir eigentlich über eine Fabrik, die Baumwolle herstellt? Weil sie vor vielen Jahren Konkurs ging und damit mutmaßlich zum größten „Lost Place“ unseres Kontinents wurde. Das gigantische Fabrikgelände kann nur im Zuge einer organisierten Tour besichtigt werden.

 

Diese Führungen werden maximal einmal wöchentlich angeboten, also informiert euch vorab und kontaktiert den Veranstalter frühzeitig. Was? Kein großes Interesse, eine leere Fabrik zu besuchen? Vertraut mir, so etwas habt ihr noch nie gesehen. Sonntagmittags traf ich mich mit meinem Guide am Eingang des Firmengeländes und war überrascht, dass ich nicht der einzige Besucher war. Um ehrlich zu sein, sammelten sich von der Toren gut und gerne zwanzig Interessierte zusammen, was gleichermaßen die größte Menschenschar war, die ich seit Ewigkeiten gesehen habe 😅. Um das Publikum halbwegs sicher durch das monströse Firmengelände zu führen wurden wir in drei Gruppen aufgeteilt. Ich hatte die Qual der Wahl: Russische, Estnische oder Finnische Guided Tour. Wie hättet ihr euch entschieden 🤔? Da ich mich zumindest auf Finnisch vorstellen konnte, die Zahlen Eins bis Zehn beherrschte und noch ein paar Vokabeln in meinem Repertoire hatte, die mir allerdings bei dieser Tour weniger geholfen hätten, entschied ich mich für Tür Nummer 3 🇫🇮. ((1) Yksi – (2) Kaksi – (3) Kolme).

 

Was wie ein chronologischer Schluckauf klingt, war das sehnsüchtige Vergnügen endlich wieder einmal zwei Stunden von finnischen Wörtern und Phrasen bombardiert zu werden. Nach der beliebten Parole: “This is finnish but not the end“, sammelte ich anschließend all meine Hintergrundinformationen im World Wide Web zusammen. Aber vollkommen egal: Es war so ein geiles Gefühl über zwei Stunden diese völlig verwahrlosten und abgefuckten Fabrikhallen zu besuchen, welche sich die Natur Schritt für Schritt wieder zurückgeholt hatte.

Bevor wir wieder zurück in die Zivilisation starten und den sonnigen Temperaturen und dem blauen Himmel für eine lange Zeit goodbye sagen, legen wir einen Stopp beim Peipussee ein und reden über seine flauschigen Landbewohner. Zugegen, obwohl dieses Gewässer zu den fünf größten Seen Europas zählt und er als natürliche Grenze zwischen Estland und Russland gilt, habe ich diesen Namen noch nie registriert. Wie geht’s euch damit? Auch nicht, oder? Na, dann willkommen im Club. Ich bin bis zur nördlichsten Spitze gefahren, um die Ruinen der Burg Neuschloss zu erkunden. Schaurig schöner Ort. Hier mündet der Fluss Narva in den See und man blickt unwiderruflich auf die russische Staatsgrenze.

 

Die Sandbänke, die ihr entlang des Ufers bewundern könnt, haben „Ozean“ Charakter. Ich liebe diese Art und Form von Stränden. Der See ist ruhig, die Sonne glitzert auf der Wasseroberfläche, die Küsten sind leer und verlassen und ein märchenhafter Nadelwald umringt dieses Gebiet. Die tiefen und dichten Wälder der Küstenstraße, die man entlang des Peipussees durchfährt, gehört zu den malerischsten Routen, die ich je gesehen habe. In regelmäßigen Abständen musste ich stehen bleiben, um das vielschichtige Ufer zu besuchen. Der bezaubernde Kauksi Strand oder das hinreißende Amphitheater im Kulturzentrum Kasepää sind mir besonders in Erinnerung geblieben.

 

Ich habe sehr wohl schon einige tausende Meilen Roadtrip durch Skandinavien 🇸🇪 🇳🇴 🇫🇮 🇩🇰 auf meiner Vita, aber diese Begegnung blieb mir bis jetzt verwehrt. Die ersten fünfzig bis hundert Kilometer verlaufen teils einspurig und führen durch die dichten, estnischen Wälder. Gegenverkehr ist so gut wie nicht vorhanden, deswegen konnte ich mich auf die Natur konzentrieren. Aus der Distanz erblickte ich einen fremdartigen Gegenstand, der inmitten der engen Straße lag. Ich steuerte gemächlich auf ihn zu, um unmittelbar festzustellen: Wow, du bist es wahrhaftig! Ein flauschiger Vierbeiner nutze den warmen Asphalt für sein Verdauungsschläfchen. Ich wusste zwar, dass Elche farbenblind sind, relativ schnell laufen können, aber auch äußerst scheue Lebewesen sind, deswegen überraschte mich dieses Treffen sehr. Ich rollte ganz langsam auf ihn zu und erst als ich mein Fahrzeug stoppen musste, registrierte mich unser Freund, sprang wie elektrisiert auf und versuchte zu flüchten. Da ich diese Tiere bewundere und liebe, will ich mich nicht allzu sehr über sie lustig machen, aber ich musste so lautstark lachen. Nach dem Motto: „Ein Elch und seine fünf verschiedene Gedanken“ wusste er nicht, wo er hin flüchten sollte. Herrliche Bilder. Wie eine dramatisierte Billardkugel schwenkte unser aufgescheuchter Freund von rechts und links und tanzte wie von der berühmten Hummel gestochen vor mir herum. Das arme Tier wirkte heillos überfordert und verzweifelt und benötige seine Zeit um sich zu beruhigen und verletzungsfrei in den Wald zu fliehen. So leid es mir auch tut, mein lieber Elch, aber ich wünschte, ich hättet diesen Tanz für die Öffentlichkeit aufgenommen. Die enorme Größe und Masse dieser Tiere, ist es zu verdankten, dass ihr auf den skandinavischen und baltischen Straßen genug Zeit und Geduld mitbringen müsst. Nur sporadisch sind mehr als 100 km/h erlaubt, denn glaubt mir, diesen tierischen Zusammenstoß möchtet ihr nicht miterleben.

Nun erwarten uns sieben Tage voller Regen und Finsternis, deshalb fassen wir uns etwas kürzer und legen einen raschen Boxenstopp in Tartu ein. Mit knapp 100.000 Einwohner ist Tartu die zweitgrößte Stadt des Landes. Sie gilt als die Universitätsstadt, schlägt hin. Selbst ein verregneter Spaziergang durch die bezaubernde Altstadt hinterlässt einen unwiderstehlichen Eindruck. Die wunderschöne Domkirche zu Tartu, das Rathaus mit den „Küssenden Studenten Brunnen“, die nostalgischen, kleinen Gassen und die humanen Bierpreise führen mich zu dem Beschluss: Im nächsten Leben werde ich mein Auslandssemester in Estland verbringen 🥰. Für alle lieben Leser, die sich gerade erst immatrikuliert haben, oder es noch beabsichtigen zu tun: merkt euch: Tartu Universitätsstadt Nummer 1.

Aktuell befinden wir uns gerade irgendwo auf den Straßen zwischen Tartu 🇪🇪 und Rēzekne 🇱🇻 und überqueren die lettische Landesgrenze. Estland: Wir sehen uns in gut zehn Tagen wieder und erkunden nun den baltischen Mittelstaat Lettland:

 
Hier geht’s weiter: Reisebericht Lettland 21 🇱🇻

 

Willkommen zurück! Na, wie hat euch die Exkursion gefallen? Waren schon einige interessante Orten und Geschichten dabei, oder? Auf jeden Fall erwarten uns jetzt noch eine Expedition durch ein versunkenes Gefängnis, eine einsame, vernebelte Insel, das liebevollste Fischerdorf der Welt und die mutmaßlich meist unterschätze Hauptstadt Europas. Diese Einleitung ermutigt euch hoffentlich zum weiterlesen. Es wäre mir eine große Freude und Ehre, wenn ihr mich weiterhin begleiten würdet.

 

Estland verfügt über 2.000 Inseln und die größten zwei haben es auf meine Beobachtungsliste geschafft. Saaremaa und Hiiumaa liegen unweit voneinander, im Rigaischen Meerbusen, entfernt. Beide Inseln sind unkompliziert und kostengünstig mit der Autofähre zu erreichen. Es gibt einige Themenbereiche, die euch die Benützung und korrekte Handhabung dieser Fähren komplizierter machen könnten, als sie sollten, deswegen informiert euch online vorab. (Tickets buchen, Route, Abfahrtzeiten, Kosten …).

Pro Tag wollte ich je eine der beiden Inseln erkunden, jedoch spielte in der gesamten Woche das grausame Wetter nicht mit. Regen 🌧, Regen 🌧, Regen 🌧 kombiniert mich dunkeln Wolken, einen orkanartigen Wind und tiefe Temperaturen. Zumindest einen Versuch habe ich unternommen und mich für die größere Insel Saaremaa entschieden. (Memo an mich: das nächste Mal, wenn ich einen Mietwagen auf einer Fähre parke, finde heraus, wie du die Alarmanlage abstellen kannst 🙈). Allzu viele helle Momente, kann ich euch bedauerlicherweise nicht anbieten, aber für einen regnerischen und kühlen Rundflug reicht es allemal. Im Sommer gilt die Insel aus Ausflugsziel schlechthin, aber im Oktober waren die Straßen so leer, wie ich sie noch nie erlebt habe. Ein Teil der Bilder der leeren Parkplätze wurden auf Saaremaa aufgenommen … – … nur um euch daran zu erinnern, wie trostlos und einsam es in diesen Zeiten war.

Der erste Punkt auf der Tagesordnung war die Katharinenkirche in Muhu, die gleichermaßen, wie die Eemu Windmühlen dem Nebel und Regen zum Opfer fiel. Inmitten der Insel befindet sich der wie bereits erwähnt, größte Meteoriten Krater weit und breit. Allein die Vorstellung seiner Entstehung lässt den Kaali Krater zu einem geologischen Phänomen werden. Obwohl die konsequente Einsamkeit und die melancholischen Außenbedingungen einen gewissen Akte-X Faktor versprühen, habe ich weder Aliens 👽 noch andere unheimliche Wesen gesehen. Auch wenn Mulder und Scully heute was Besseres zu tun hatten, lohnt sich der Besuch des gigantischen Loches in der Erde auf alle Fälle 😉.

 

In Arensburg, die inoffizielle Hauptstadt der Insel, befindet sich eines der größten Schlösser, welches ich je gesehen habe. Für den Besuch des Kuressaare Schlosses solltet ihr einiges an Zeit mitbringen. Unvorstellbar zu lesen, wie viele Schlachten und Eroberungen dieses Bauwerk bereits überlebt hat. Der wohl bekannteste und berühmteste Ort des Eilands liegt an der südlichsten Spitze. Der imposante Leuchtturm Sörve überlebte ebenfalls eine endlose Anzahl von Schlachten und Dramen. Es fällt mir schwer, diesen Ort für euch in Worten festzuhalten. Das riesige Bauwerk, die geisterhafte Ruhe, die brutale und kompromisslose Vergangenheit, die sich hier abspielte, sorgte für eine ganz seltsame Atmosphäre. Den ganzen Tag begleitete mich die Enttäuschung über die widrigen Verhältnisse, aber aus einem mir nicht erklärbaren Grund genoss jede einzelne Minute an der Seite des Leuchtturmes und den dazugehörigen Bunkern aus den beiden Weltkriegen.

 

Auf dem Weg zum höchsten Kliff des Landes kreuzt man unter anderen den Angla Windmühlen Park. Windmühle, oh Windmühle. Diese Bauten haben mich immer schon fasziniert und zu meinem Glück hatte das Museum geöffnet und ich konnte die überdimensional großen Mühlen in alle Abgeschiedenheit erklettern. Enttäuschend und gleichzeitig skurril wurde es am Panga Cliff. Der absolute Touristen-Hotspot, denn das Kliff ist der perfekte Ort für die Beobachtung von Robben und Vögeln und bietet darüber hinaus noch eine sagenhafte Aussicht auf das offene Meer. Als ich am großen, asphaltierten Parkplatz angekommen bin, war nicht ein einziges Auto vor Ort. Diese Tatsache ließ mich das erste Mal an meiner Planung zweifeln. Und für alle, bei denen die estnische Inselwelt auf der Bucket List steht: gegebenenfalls besucht ihr sie zwischen Mai und August und bevorzugt an halbwegs regenfreien Tagen.

Was wie ein A. Gabalier Song 🎶 klingt, ist das zauberhafteste Fischerdorf, das ich je gesehen habe. Der magische Name lautet: Haapsalu! Um diesen Teil des Berichtes zu verfassen, benötigte ich einige Anläufe, da ich euch um jeden Preis vermitteln will, wie allerliebst dieses 12.000 Seelen Dorf ist. Aber sind wir uns ehrlich, allein schon der Name Haapsalu lässt das Dorf sympathisch klingen. Und wen dies noch nicht überzeugt: Der berühmte Beiname lautet: „Venedig des Nordens 🇮🇹“. Nur ohne Touristenmassen und Kreuzfahrtschiff Terror, dafür mit angenehmen Preisen und einer zauberhaften Atmosphäre.

 

Zuerst versuche ich euch einmal mit meiner Methode zu überzeugen. Unweit des Zentrums liegt das Schloss Ungru, zumindest was davon übrig geblieben ist. Ein mächtiges, verlassenes Gebäude, welches euer Eroberer Herz zum Explodieren bringt. Die mystischen Ruinen sind ein beispielloser Ort zum Erkunden und Fotografien, sie sind vollkommen frei zugänglich und erzählen obendrein noch eine kleine, wildromantische Geschichte. Das Schloss Ungru ist eine punktgenaue Kopie des Schlosses Merseburg in Deutschland 🇩🇪. Ein wohlhabender Graf verliebte sich Hals über Kopf in die Tochter des Schlossherren von Merseburg. Die Angebetete hatte einen Eid abgelegt, in dem sie versprach, das Schloss niemals zu verlassen. Liebe kennt ja sprichwörtlich keine Grenzen und unser Graf rieb sich in Wickie Manier an der Nase und sagte: Ich habe eine Idee! Ich werde schlicht und einfach eine exakte Nachbildung des Schlosses irgendwo in der estnischen Provinz bauen und wenn es abgeschlossen ist, zieht sie anstandslos zu mir. Sowohl die umworbene Tochter als auch ihr Vater stimmten der kreativen Idee des verliebten Graf zu. Unser Baumeister startete mit seinem Versprechen und konnte die Ankunft seiner Geliebten kaum erwarten. Wenige Wochen bevor sein Meisterwerk vollendet war, starb seine junge Geliebte eines natürlichen Todes. Der ganze Aufwand war umsonst, das Schoss Ungru wurde niemals fertiggestellt und seitdem verwahrlost es wunderschön vor sich hin. (Video)

Okay, das Geisterschloss hat euch mutmaßlich weniger überzeugt. Am stillgelegten Bahnhof Haapsalu gibt es ein kostenloses Eisenbahn- und Fernmeldemuseum. Was, das klingt nicht spannend? Am Bahnhofsgelände sammeln sich zahlreiche Waggons und Lokomotiven, aus der sowjetischen Zeit, zusammen. Die Exponate des Raudtee- ja Sidemuuseum verwildern magisch dahin. Traumhaft, bezaubernd, mysteriös und einzigartig 🥰.

 

Gut, nächster Versuch: die mittelalterliche Bischofsburg Haapsalu gehört außer Zweifel zu den schönsten Burgen, die jemals erbaut wurden. Ästhetik, Architektur, die exponierte Lage am Meer oder die dominanten Größenverhältnisse sind beispiellos. Aber spätestens, wenn ihr die Legende der Weißen Frau lest, deren Geschichte überall an der Burg erzählt wird, habe ich auch gewonnen. Während der Herrschaft des Bischofs war es jeden Kanoniker untersagt sich zu verlieben. Ihnen wurde es verboten, die Burg zu verlassen und sie mussten ein Leben in Keuschheit führen. Ein Geistlicher verliebte sich dennoch in ein heimisches Mädchen, welches er durch die Tore beobachten konnte. Er schmuggelte sie still und heimlich in die Burg und sie lebte jahrelang als Chorknabe verkleidet mit ihrem Geliebten Seite an Seite. Eines Tages fiel der Schwindel auf und der Kanoniker musste zur Bestrafung grausam verhungern. Das estnische Mädchen wurde bei lebendigem Leibe in die Wände der Burgkapelle eingemauert. Ihr wurde ein Brotlaib und ein Krug Wasser zur Verfügung gestellt. Ihre Hilfeschreie waren noch tagelang in der Bischofsburg zu hören, bis sie irgendwann einmal verstummten. Ihr Körper starb eines fürchterlichen Todes, aber ihre Seele geistert noch heute in der Kirchenkapelle umher. Diese Legende erfährt in Estland einen hohen Bekanntheitsgrad und gilt als tragisches Symbol der unsterblichen Liebe. Konnte ich die Hilferufe hören? Was hat mir die weiße Frau erzählt? Wenn ihr die Antworten auf diese Fragen wissen wollt, gibt es nur eine Chance: auf nach Haapsalu!

 

Über diese liebevolle Altstadt mit ihren engen Gassen, dieser verführerische Geruch, der traditionellen Bäckereien, dieses traumhafte Panorama mit Meeresblick, dieser bildschöne Spaziergang dem Pier entlang … – … nein, davon werde ich heute nicht mehr schwärmen, diese Dinge müsst ihr schon selbst erleben. So, und wer ist jetzt alles dabei? Auf nach Haapsalu!

Erhöhen wir das Tempo ein wenig und visieren den Hauptgrund unserer Estland Rundreise an. Aus Gründen des Zeitmangels überspringen wir die Details der zauberhaften Klosterruine Padise, dem märchenhaften Herrscherhaus in Lemmura (Vasalemma Manor), dem gigantischen Cliffwalk entlang dem Pakri Leuchtturms oder die Begegnung mit dem reißenden Keila Wasserfall und das Erkunden der verlassenen Relikte des Zweiten Weltkrieges (Peeter Suure merekindlus = Seefestung Peter des Großen) am gespenstischen Ninamaa Cape.

 

Seinerzeit hörte ich von einer Legende, in der es um einen Geocache geht, der in einem kleinen See versenkt wurde, welcher zwischen zwei verfallenen Haftanstalten gefangen war. Die notwendige Recherche stellte keine große Herausforderung dar und so stieß ich auf einen beispiellosen Ort mit dem Namen: Rummu Prison.

Zur Geschichte: In den 1930er-Jahren wurde ein Marmor Steinbruch in der kleinen estnischen Ortschaft Rummu gegraben. Da diese Arbeit eine brutale, und fordernde Anstrengung war, wurden direkt am Steinbruch zwei Haftanstalten gebaut. Während des ganzen zwanzigsten Jahrhunderts bis zur Auflösung der Sowjetunion wurde diese schwere Arbeit den ansässigen Häftlingen aufgetragen. Im folgenden Jahr stoppte man kurzfristig alle Arbeiten, was unter anderen auch das Abpumpen des wiederkehrenden Grundwassers bedeutete. Innerhalb weniger Monate stieg der Grundwasserspiegel enorm an und formte diesen kristallblauen See. Die Energie des Wassers riss zahlreiche Gebäude und Maschinen mit sich, was gleichzeitig die Geburtsstunde, dieses modernen Weltwunders war. Die Gefängnisse wurden trotzdem weitergeführt und erst im Jahre 2012 für immer geschlossen.

 

Als der norwegische 🇳🇴 DJ Alan Walker diesen Steinbruch für den Videodreh seines Welthits „Faded“ verwendete, erlangte der Ort internationale Berühmtheit und ist heutzutage ein Paradies für Naturfotografen und Taucher. Im Laufe der letzten Jahre ereigneten sich bedauerlicherweise tödliche Tauchunfälle, welche gleichzeitig das Ende eines freien Besuches bedeutete. Dennoch hat jeder Interessent die Chance, diesen unfassbaren Ort mitsamt eines Gefängnisses im Zuge einer Tour zu begutachten. In den Sommermonaten dient der See als Rafting und Tauch Erlebnis und kann nur gegen eine Eintrittsgebühr besucht werden. In den Herbst und Winter Monaten sind die Tore geschlossen und das ganze Areal mit samt den Haftanstalten ist abgeriegelt. Aber wie konnten wir dennoch unser Lieblingsfoto schießen?

 

Einfach anrufen! Wer außerhalb der Hauptsaison den See besuchen möchte, wartet an den Eingangstoren und ruft die hinterlegte Telefonnummer an. Ihr überweist anschließend ein paar Euro (moderne Tickettechnik 😅) und ab  geht das wahnwitzige Abenteuer. Aus Gründen der Sicherheit, nicht vorhandener Taucherausrüstung und Erfahrung und den niedrigen Wassertemperaturen geschuldet, blieb mir der Geocache unglücklicherweise verwehrt, aber trotz allem muss ich feststellen: Dieses Phänomen aus Natur und Geschichte ist einer der aufregendsten und spannendsten Orte, die ich je gesehen habe. Wer Lust und Laune auf eine kleine Expedition verspürt: (Video 1) / (Video 2).

Der krönende Ausklang dieser Reise führt uns in die estnische Hauptstadt Tallinn. Bereits 2017 durfte ich das erste Mal Tallinn kennen und parallel auch lieben lernen. Auch damals versuchte ich mich bereits als hoffnungsloser Berichterstatter und durch mein nicht vorhandenes Talent beschloss ich meine ersten Eindrücke Tallinns geheim zu halten. Einfach nur, weil ich es so unterschiedlich und amüsant finde, werde ich euch einen Auszug präsentieren: Achtung: Tallinn 2017!

 

Ein kleines historisches Juwel am Finnischen Meerbusen (ja, er heißt wirklich so). Tallinn sollte man zur richtigen Zeit besuchen und damit meine ich nicht die Jahreszeiten, sondern die Uhrzeit. Mit Sonnenaufgang geht es ab in die wunderbare Altstadt, um deren lieblichen Charme und ihre Romantik zu genießen. Es empfiehlt sich seine Zeit hervorragend einzuteilen, bevor SIE kommen. Tallinn ist gewissermaßen der Dreh- und Angelpunkt unzähliger Kreuzfahrtschiffe, die einen Tagesstopp einlegen. Man hört SIE bereits aus hunderten Kilometern Entfernung …- … die anstürmende Touristenlawine. Wie von einer laufenden Büffelherde verursacht, vibriert der Boden unter meinen Füßen.

 

Die Altstadt und der Hafen sind nur durch einen 30-minütigen Spaziergang getrennt. Allerdings wird den geschätzten Tagestouristen nicht zugetraut, diese Meter zu Fuß zu überwinden, deswegen strömen die Reisebusse im Minutentakt Richtung Zentrum. Nun ist es Zeit, schleunigst den brodelnden Kessel zu verlassen, ansonsten läuft man in Gefahr, Unfallopfer eines verirrten Selfiesticks zu werden. Während der Besetzung der Ein-Tages-Touristen rät es sich, die vielschichtige Umgebung abseits des Zentrums anzusehen. Am späten Nachmittag lächelt Tallinn wieder zurück, man erkennt zwar in den Gassen und auf den Plätzen die Spuren der täglichen Verwüstung, aber schnell bekommt man wieder das Gefühl, in einer der schönsten Städte Europas zu sein.

 

Die Altstadt Tallinn: (bevorzugte Öffnungszeiten von 7.00. bis 11.00. und ab 17.00 Uhr). Herumspazieren, Staunen Genießen. Vor allem der Rathausplatz ist mit seinen abwechslungsreichen Gebäuden atemberaubend schön. Hier sollte man sich einfach nur in die Mitte stellen, die Hände ausbreiten und eine langsame 360 Grad Drehung machen.

 

Wir schreiben indessen Anfang Oktober 2021 und befinden uns inmitten einer Pandemie, die auch vor Estland keinen Halt macht. Meine 2017 Erfahrung muss ich revidieren und feststellen: In den heutigen Tagen zählt Tallinn zu den drei schönsten und attraktivsten Städten in Europas. Ja, ja, bevor ihr euch jetzt laufend die einzig wahre Frage stellt: Was sind die anderen beiden? Sankt Petersburg 🇷🇺, und Kiew 🇺🇦. (Treue Leser wissen, alles was mit Schweden 🇸🇪 bzw. Stockholm zu tun hat, läuft selbstverständlich außer Konkurrenz 😉).

 

So, wie machen wir das jetzt am besten? Spazieren wir gemeinsam durch Tallinn? Oder gehen wir die TripAdvisor Top 10 Liste durch?

 

Wir bevorzugen diesmal den visuellen Weg. Ich stelle eine kleine Galerie zusammen, damit ihr die beliebtesten Orte und Sehenswürdigkeiten zumindest einmal gesehen und gehört habt.

Drei Schwestern
Kiek In De Kök
Alexander-Newski-Kathedrale
Rathausplatz
Patkuli Aussichtsplattform
Lehmpforte
Freiheitsplatz
Kohtuotsa Aussichtsplattform
St. Catherine's Passage
Tallinner Ratsapotheke
Saiakäik
Tallinner Dom
Tallinner Dom

Zum Abschluss noch ein paar Anekdoten, weshalb jeder einzelne von euch dieser Stadt einen Besuch abstatten sollte. Und bitte, bitte nicht mit einem Kreuzfahrtschiff! Tallinn hat es verdient, dass ihr euch ausreichend Zeit nehmt, für ein beidseitiges Kennenlernen.

 

Während Riga einen modernen und fortschrittlichen Weg einschlägt, fühlt man sich in der estnischen Hauptstadt wie im Mittelalter. Und die Bürger wollen ihren Besuchern auch genau dieses Bild vermitteln und dies gelingt ihnen brillant. Alles Sehenswerte ist unkompliziert und einfach zu Fuß zu erkunden. Innerhalb der dicken Burgmauern taucht ihr in die Vergangenheit ein. Jeder von euch wird dieses ständige Gefühl der Schnelllebigkeit ablegen und ruhelos durch die Gassen flanieren. Die bunten, einzigartigen Gebäude, die Atmosphäre der Tore und Burgen, die estnische Kulinarik (Stichwort: SOLJANKA 😛), die humanen Preise und die zwar vorsichtige, aber freundliche Art der Esten wird euch verzaubern.

 

Dies wäre aber nicht mein persönlicher Reisebericht, wenn wir uns abschließend nicht über einen vollkommen, durchgeknallten und äußerst fragwürdigen Ort unterhalten, welchen ich faktisch nur durch reinen Zufall entdeckt habe. Zuvor allerdings noch meine Top 3, der plus/minus geheimen Sehenswürdigkeiten in direkter Umgebung der Hauptstadt.

 

Linnahall: auch wenn Estland noch nie Austragungsstätte der Olympischen Spielen war, fanden dennoch Wettbewerbe in Tallinn statt, aber wie zur Hölle ist so was möglich? Wer hat eine Erleuchtung? Stichwörter Kommunismus, Vergangenheit und Sowjetunion. Die Linnahall ist ein ehemaliger Sportpalast, der am Hafen liegt. Für die Olympischen Sommerspiele 1980 nutzte die UdSSR diese Anlage, um ihre Segelwettbewerbe durchführen zu können. Das Spezielle an der Linnahall: Seit dem Zerfall der Sowjetunion verwahrlost die Sportstätte augenscheinlich vor sich hin und ergibt einen bildhübschen Lost Place.

 

Schloss Katharinental: Der Palast wurde von Peter dem Großen errichtet und gilt als das schönste Bauwerk der gesamten Nation.

 

St. Brigitten: an der Mündung des Flusses Pirita verbergen sich die kolossalen Ruinen eines ehemaligen Klosters. Eine der schönsten und am besten erhaltenen Kirchenruinen, die ich je gesehen habe. Die Form des Gebäudes wurde bewusst eines Schiffes nachgeahmt. Ausnahmslos besuchen!

 

Gemeinsam verlassen wir die Normalität und runden unsere Visite Tallinns mit einem glücklichen Zufallsfund ab: Maarjamäe Palace. Der Palast dient als estnisches Museum für Geschichte und Kultur. Durch Zufall sah ich dieses relativ nette aber unspektakuläre Gebäude und wagte einen kurzen Abstecher. Auf historische Ausstellungsstücke hatte ich weniger Lust, deswegen erkundete ich die Umgebung und zufälligerweise auch den versteckten Hinterhof. An der Rückseite des Palastes verbirgt sich eine sensationelle Sammlung ausrangierter, sowjetischer Statuen. Ein überdimensionaler Joseph Stalin grinst einem entgegen und ein gigantischer Kopf von Wladimir Lenin liegt seelenruhig in der Wiese. Weiteres könnt ihr die Skulpturen anderer berühmten und berüchtigten sowjetischen Feldherren und Diktatoren bewundern. Die Monumente wurden vor ihrer Zerstörung gerettet und fanden einen liebevollen Platz in Hinterhof eines kleinen Palastes. Sozusagen mein ganz persönlicher, historischer Lieblingsort: der Secret Soviet Statue Graveyard.

Mein Fazit: Estland und Lettland gehören zu den „most underrated countries“ unserer Erde. Eine berauschende und vielfältige Landschaft mit einer einzigartigen Vergangenheit … – … Reiseherz, was willst du mehr? Überspringt einmal den wiederholten Italien 🇮🇹 oder Kroatien 🇭🇷 Urlaub und schnappt euch einen Mietwagen, um dieses europäische Juwel zu erkunden.

 

Kosten: Seit dem Beitritt zur EU sind die Preise laufend gestiegen. Tallinn und Riga sind bereits kurz davor sich dem österreichischen Preisniveau anzugleichen, die peripheren Gebiete sind noch markant günstiger.

 

Sicherheit: Das Thema können wir getrost überspringen. Achtet bitte nur auf die Elche!

 

… Ja, von wo aus lesen wir uns wieder? Ich habe keine Ahnung, lassen wir uns einfach alle überraschen …