Asien

Der Todesfluss 🇰🇷

Wenn wir über den tödlichsten Fluss unserer Erde sprechen, landen wir wahrscheinlich beim Nil, beim Amazonas oder beim Rio Tinto. Aber weder die Piranhas noch die Krokodile oder erst recht nicht die tödlichen Chemikalien verursachen so viele Todesopfer wie der Imjin. Gerade einmal 300 Kilometer lang ist der Grenzfluss zwischen der Republik Korea und der Demokratischen Volksrepublik Korea a.k.a. Nordkorea.

Im Zuge einer geführten Tour besuchte ich die demilitarisierte Zone Koreas (DMZ) und wurde mit einem seltenen Blick auf die Grenzregion belohnt.

Seit der Spaltung Koreas (1950 bis 1953) befinden sich die beiden Staaten im Kriegszustand, demzufolge sprechen wir eigentlich nicht über eine Landesgrenze, sondern über einer militärischen Sperrzone. Ob diese Touren wirklich stattfinden können und wo sie de facto hinführen, wird meist erst kurz vor Abfahrt in den frühen Morgenstunden entschieden, da man die aktuelle politische Situation nie hundertprozentig einschätzen kann. Und wie weit es moralisch in Ordnung geht, solche eskalierenden Brennpunkte, als Reisender zu besuchen …? …– …dieser Debatte entziehe ich mich, allein schon aus purer Bequemlichkeit.

Mein erster Stopp lag in der Nähe der südkoreanischen Grenzstadt Gimpo, wo ein Observatorium Deck errichtet wurde, um die ersten neugierigen Blicke über den Fluss Richtung Norden werfen zu können. Ich befinde mich gerade in einem moralischen Zwiespalt: einerseits ist es hochinteressant, elektrisierend und lässt das Adrenalin in den Adern kochen, aber andererseits ist es äußerst diskussionswürdig Touristen an diese Stellen zu führen. Schließlich blicke ich soeben durch ein hochauflösendes Fernglas und sehe die nordkoreanischen Grenztürme, welche von Soldaten besetzt werden. Im Prinzip spioniere ich gerade das kommunistische Territorium aus, eine neue Form des Voyeurismus.

Das Faszinierende: Die landschaftliche Umgebung ist traumhaft schön. Der tödlichste Fluss der Erde mäandert seelenruhig durch ein zauberhaftes Tal durch. Ich erblicke himmelblaues Wasser, gelbe Weizenfelder, grüne Wiesen und eine naturbelassene Hügellandschaft. Die mörderische Stille ist erdrückend, keine Fahrzeuge, keine Menschenseele weit und breit, nur dieses wunderbare Panorama. Mein Guide berichtet mir von der Schule, der Kirche und den älteren Bauernhäusern, die sich jenseits der Sperrzone befinden. Mit geschulten und konzentrierten Blick realisiere ich das bunte Treiben und kann die Gebäude zuordnen. Faszination Nordkorea! Wieso so viele Menschen auf der ganzen Welt diese Diktatur dermaßen interessant finden, kann ich euch nicht erklären. Ich habe etwas anderes erwartet: hohe Stacheldrahtzäune, militärische Fahrzeuge und patrouillierende Soldaten, aber bestimmt nicht ein kleines Dorf, was mich an meine Heimat erinnert.

Verschiebt man das Fernglas mit etwas Muskelkraft in die nicht markierten und vorgegebenen Richtungen, wirkt die ganze Angelegenheit um einiges bedrohlicher. Im 100 Meter Abstand reihen sich Wachtürme, die von Scharfschützen besetzt sind. Durch den enormen Zoom wird jede moralische Grenze überschritten …- …ich fühle mich wie ein illegaler Spanner, ein perverser Voyeur, der die Soldaten ausspioniert. Darf ich das eigentlich? Wer erlaubt es mir, diese Soldaten so heimlich anzustarren. Können sie mich erkennen, registrieren sie mich? Oder bin ich nur einer von unzähligen Schaulustigen, die sich an solchen Situationen aufgeilen? (bitte verzeiht meine Wortwahl, aber ich denke, ihr wisst, was ich meine).

Ich würde den Imjin maximal auf zwei Meter Tiefe schätzen, mit einem höchsten 200 Meter breiten Flussbeet. Mein Guide warnte mich des Öfteren lautstark keinen einzigen Schritt zu weit zu gehen. In der insgesamt zwei Kilometer breiten DMZ liegen tausende scharfe Tretminen, die bei der kleinsten Detonation in die Luft fliegen. Im Laufe der letzten Jahre wurden mehr als 3.000 Bürger beim Versuch, den Fluss zu überqueren, aufgegriffen. Ihr Schicksal ist weitgehendst unbekannt und diese Tatsache lässt den Imjin zum tödlichsten Fluss der Erde werden.

🇰🇵 Mein Guide lebte aus beruflichen Gründen mehrere Jahre in Nordkorea und war einer der wenigen Südkoreaner, der die Staatsgrenze problemlos passieren konnten. Eines Tages unterlief ihm ein folgenschwerer Fehler. Er faltete vor den Augen eines Beamten einen nordkoreanischen Geldschein. Dass auf allen Banknoten das Foto des Diktators verewigt ist, ist wohl selbsterklärend, aber dass dies ein Grund für einen dauerhaften Verweis war, hat selbst ihn überrascht. 🇰🇵

Unser zweiter Halt führt uns zur Gedenkstätte Imjingak. Dieser Park lehrte mich einige unbegreifliche Fakten und Tatsachen. Kurzes geschichtliches Update: In den 50er-Jahren wurde das ehemalige Korea gespalten. Die Bewohner beider Länder hatten die freie Wahl, für welche Seite sie sich entscheiden möchten. Allerdings blieben nur wenige Tage, um diese lebensentscheidende Wahl zu treffen, denn die Zäune und Absperrungen wurden bereits errichtet und die allerletzte Brücke, war kurz vor der Sprengung.

Die „Bridge Of No Return“ ist die letzte Verbindungsbrücke über die DMZ, die für die Öffentlichkeit zugängig war. Heutzutage sind nur mehr ihre Überreste vorhanden, die man als „Besucher“ entlang spazieren kann. Dieser Weg ist mehr als nur befremdlich und beängstigend. Schritt für Schritt wird man von einem Soldaten begleitet, da es verboten ist auf der Brücke stehen zubleiben respektive nach Links oder Rechts zu blicken. Am Ende angekommen, gibt es eine quadratische Bodenmarkierung, die mir erlaubt mich umzublicken. Auf den Brückenpfeilern und am Gelände sind die Einschusslöcher mit roten Kreisen markiert. Tourismus trifft auf Kriegsgebiet, ein äußerst paradoxes Gefühl, das sich in mir zusammen gestaut hat. An der Gedenkstätte begegnet man zerschossenen Zügen, gesprengten Panzer, unzähligen Gedenktafeln und zweifelsohne auch einen Souvenirshop (!!!). Ja, einen Souvenirshop, wo man Ansichtskarten und militärische Schlüsselanhänger erwerben kann … – …über die Sinnhaftigkeit dürft ihr selbst entscheiden …

Know Before You Go:  Wer es moralisch verantworten kann und sich mit der Geschichte des Konfliktes auseinandersetzen will, bucht eine Tagestour in Seoul. Ich nutzte die Seoul City Tour Agentur und war trotz der moralischen Verwerfung, von deren professionellen Ausführung, schwer begeistert. Visit Website!